Der Bäcker in Barterode

(aus Heimatblatt VII/2004)

Mag auch dieses Handwerk, wie alles, einem Wandel unterworfen sein: Der Beruf des Bäckers wird nicht aussterben; denn zu allen Zeiten wollen die Menschen Brot essen und möchten Leckereien genießen.

Im Märchen von Frau Holle rief das Brot: „Zieh mich raus, zieh mich raus, ich bin schon längst ausgebacken!“ Wenn ich bei unserem Bäcker Hildebrand vorbeigehe (das Geschäft ist inzwischen über 100 Jahre alt), zieht mir der Duft in die Nase. Die leckeren Dinge ziehen meine Blicke auf sich und locken: Komm rein, kauf mich.

Was so lecker aussieht, duftet, schmeckt, entsteht nicht von allein. Weil wir ab 7.00 Uhr in der Frühe die frischen Brötchen essen möchten, muss der Bäcker Frühaufsteher sein. Daran ändert auch nicht, dass heute vieles maschinell gemacht wird, was früher Handarbeit war, z.B. Abwiegen der Zutaten (mit der Tellerwaage), Teig kneten, Formen von Brot und Brötchen usw. Die modernen Öfen erledigen heute Computer-gesteuert vieles, wofür der Bäcker früher schwitzen musste. Bevor gebacken werden konnte, musste der Ofen mit Holz und Kohle angeheizt werden. Der Bäcker musste Acht geben, dass der Ofen weder zu kalt noch zu heiß wurde, damit beim Backen alles wunschgemäß klappte.

Der Arbeitstag unseres Bäckers beginnt normalerweise gegen 4.00 Uhr in der Frühe, am Wochenende meistens um 2.00 Uhr. Dafür ist bereits ab Mittag „Feierabend“ – wenn man nicht noch mit der Ware über die Dörfer fährt, um sie dort von Haus zu Haus zu verkaufen. Das tat vor mehr als 70 Jahren bereits der Gründer der heutigen Bäckerei Hildebrand mit seinem Pferd Max und seinem Bäckerwagen. Heute fahren der Senior-Chef und ein Angestellter mit 2 Verkaufsautos über die Dörfer.

An dieser Stelle ein kurzer Einschub zur Geschichte der Bäckerei Hildebrand:

Wie bereits gesagt, hatte Hermann Hildebrand 1898 die Bäckerei gegründet. Seinen freundlichen Spitznahmen (Süßer Hermann) hatte er erhalten, weil er zu Fest und Feier mit einer „Zuckerbude“ auf die Dörfer in der Umgebung fuhr.

Sein Sohn Erich übernahm 1931 die Bäckerei. Dessen Frau Lilli führte den angeschlossenen Kolonialwarenladen. Man bedenke: Zu der Zeit gab es noch keine Rechenmaschinen. Es musste bis Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre alles „im Kopf“ aufgerechnet werden.

Darüber hinaus waren viele Waren bis dahin noch nicht einzeln abgepackt, sondern wurden lose in großen Fässern, Gläsern, Kisten geliefert, z.B. Senf, Öl, Essig, Heringe, Zucker, Hülsenfrüchte. Auch Bonbons, die in großen Gläsern auf der Theke standen und Kindern in die Augen stachen. Die Ware wurde dann individuell für jeden Kunden abgewogen und abgepackt. Bis 1948 bestand nur ein kleiner, gemütlicher Laden. Danach wurde umgebaut, vergrößert. Dezimalwaage und erste Rechenmaschine hielten Einzug. Die Ware war jetzt grundsätzlich verpackt. Seit ca. 1960 gibt es in unserem Land vermehrt SB-Läden und große Discounter. Gezahlt wird mit Karte ... Eine rasante Entwicklung.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Erich Hildebrand die Bäckerei übernommen hatte, wurde ein Geselle eingestellt, Werner Hinze. 1939 wurde der Chef zum Militär eingezogen. Infolge einer Knieverletzung war der Geselle „nicht kv“ und blieb im Betrieb, den er zusammen mit Lilli Hildebrand und Hilfskräften bis 1956 führte. Dann konnte in 3.Generation Erich H. jun. die Bäckerlehre beginnen und bereits 1962 (bis dahin gab es immer wieder Sonderregelungen) den Betrieb übernehmen.

Sowohl die Bäckerei als auch in noch größerem Ausmaß das Laden-Geschäft waren für die Dorfbewohner wichtige Kommunikations-Zentren. Man holte nicht nur seine Brötchen und Mehl und Zucker – oft auch noch nach offiziellem Ladenschluß oder am Sonntagmorgen! Man redete auch miteinander, die neuesten Nachrichten aus dem Dorf wurden ausgetauscht. Man nahm Anteil an Freud und Leid der übrigen Dorfbewohner – man wusste Bescheid. – Können die großen Läden heute mit ihrer zugegebenermaßen größeren Auswahl das ersetzen? Mit dem Stichwort „mehr Auswahl“ kommen wir zurück zum Thema Bäckerei.

Zeitig aufstehen mussten früher auch die Lehrlinge, für die heute strengere Regeln betr. Arbeitsschutz gelten. Oft wohnten sie im Haus von Hildebrands in einer Dachkammer

Zwischen 21.30 und 22.00 Uhr wurde der Sauerteig für den nächsten Tag vorbereitet, damit er morgens um 3.00 Uhr „pustete“ = in der Backmaschine gewachsen war und Blasen hervorbrachte. Ein Teil wurde bereits abends vom Sauerteig abgenommen für den neu anzusetzenden Teig am kommenden Tag.

Fehlten während der Kriegszeit männliche Arbeitskräfte, hatten die Hausmädchen in der Backstube mitzuhelfen. Es wurde auch am Sonntag (für die Fremdarbeiter) gebacken, vor allem Weißbrot, auf plattdeutsch „Franzbrot“.

Die Auswahl an Brotsorgen ist erst in den letzten Jahren immer größer geworden. Früher wurde hauptsächlich „Graubrot“ = reines Roggen(Korn)brot gebacken. Heute wird der Bäcker vom Großhandel mit Zutaten beliefert und verkauft die verschiedenen leckeren Sorten an die Endverbraucher. Bis vor ca. 60 Jahren gab es verschiedene Möglichkeiten:

  • Die Bauern brachten ihr geerntetes Getreide zum Müller und bekamen dafür die entsprechende Menge Mehl, außerdem Schrot als Tierfutter. Nun konnten sie das Mehl zum Bäcker bringen, der es dann mit den gekauften Broten (dafür gab es Kladden, in die alles aufgeschrieben wurde) verrechnete. Sie bezahlten dann lediglich noch Backe-Geld. Der Bäcker lieferte also Brot gegen Naturalie und Geld. Oder – etwas später – der Müller lieferte das Mehl direkt zum Bäcker, wo es gelagert wurde, ohne mit dem Kunden in Berührung gekommen zu sein.

  • Die andere Möglichkeit bestand darin, dass die Haushalte ihren Brotteig selbst herstellten und diesen dann leldiglich zum Backen zum Bäcker brachten. Dann wurde nur Backe-Geld bezahlt.

  • Einige Haushalte besaßen ein eigenes Backhaus, so dass sie unabhängig vom Bäcker Brot Backen konnten.

Beliebte Kuchen waren vor ca. 50 Jahren

„Pustekuchen“ = ein leichter, lockerer Zuckerkuchen,

„Luffen“ = ein Semmel mit Weizenmehl, ähnlich dem heutigen Rosinenstuten,

„Amerikaner“. Davon wurde dann gleich eine ganze Tüte voll gekauft.

„Zwieback“. Den kaufen wir heute abgepackt im Supermarkt.

Zu Fest und Feier wurden (meistens über 20 Stück!) Platenkuchen gebacken, und zwar Zucker-, Schmand- und auch Obstkuchen. Torten stammen erst aus neuerer Zeit. Die Hausfrauen stellten den Teig zuhause her und brachten die belegten Bleche zum Backen zum Bäcker. Jede machte irgendein bestimmtes Zeichen in eine Ecke ihres Kuchens, damit man ihn von den Kuchen der anderen Frauen unterscheiden konnte. Meistens wurde freitags in 3 Durchgängen gebacken, um 9, 11 und 13 Uhr. Der von den Frauen hergestellte Teig für die Luffen konnte auch am Samstag zum Backen in die Backstube gebracht werden. Während der Wartezeiten wurden Schwätzchen gehalten – und natürlich auch die Kuchen der anderen begutachtet: ob genug Butterflöckchen, Zucker darauf war oder die richtige Apfelsorte genommen wurde ...

Bei so vielen Menschen und Arbeitsabläufen kam es auch zu „Unfällen“. Eines Tages hatte Lisbeth Apfelkuchen von den guten Glockenäpfeln gebacken. Die Frauen standen, schwatzten und warteten darauf, dass ihre Kuchen gar würden. Hermann stand in der Grube vor dem Backofen und öffnete die Ofenklappe: Herrlicher Duft strömte heraus. Mit Schieber und Sacklappen (Schutz-Handschuhe gab es noch nicht) holte er den Kuchen heraus, schob ihn ein Stück auf dem Boden vorwärts und rief „Vorsicht!“ In diesem Moment machte Hermine einen Schritt rückwärts – und stand mitten in Lisbeths gutem Apfelkuchen!

Über den folgenden Disput unter den Frauen will ich nichts berichten ...

Elsbeth Robrecht-Krause

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